Treckkreuz Altenbruch - Fixpunkt der Erinnerung
Als zum Ende des 2. Weltkrieges klar war, auch den Parteigrößen
des Hitlerregimes, dass dieser Krieg für Deutschland praktisch
verloren und es nur noch eine Frage des Augenblickes war, an dem
die Sowjetarmeen die Deutsche Grenze überschreiten würden,
war es bei Höchststrafen verboten aus den Grenzgebieten zu
flüchten. Schon diese Anweisung durch den Gauleiter Koch macht
klar, dass die Partei um die Lage wusste aber dennoch gewillt war,
das Volk als Puffer einzusetzen. Außerdem hätte eine anfängliche
Flucht automatisch einen Avalangeeffekt ausgelöst, der der Be-
weglichkeit der Wehrmacht die Straßen verstopfte, wie es dann
später auch geschah. Im Gegensatz zu den Westfronten, wo die
alliierten Armeen vom größten Teil der Bevölkerung als Befreier
erwartet wurden, sah das Volk an den Ostgrenzen dem Einmarsch
mit den allerschlimmsten Erwartungen entgegen. Nicht zuletzt
geschürt durch eine Aktion gegen eine Reihe von Grenzdörfern im
Bereich Königsberg, welche von Russen überfallen und auf
schrecklichste Weise verwüstet wurden. Da die Männer weitge-
hend zum Frontdienst eingezogen waren, trafen die Greuel folglich hauptsächlich die Frauen, wobei
Vergewaltigung nicht das Schlimmste war. Als deutsche Kräfte die Dörfer wieder `zurück eroberten´,
fand man auch an Scheunentore und Heuwagen genagelte Menschen, nackt in X-Stellung oder durch
Sprengsätze zerfetzte Leichen(teile). Bis heute scheint die Frage nicht ins Letzte geklärt, ob es sich
bei dem Überfall tatsächlich um russische Soldaten oder verkleidete deutsche Kräfte handelte, die
lediglich die Aufgabe hatten, vor einem russischen Einmarsch Panik zu verbreiten, um den Kampfes-
willen der Landbevölkerung anzustacheln. Wie auch immer, gingen diese Ereignisse, die ebenso auch
25.000 ukrainische Flüchlinge trafen, welche in einem Wald bei Metgethen lagerten, in die Geschichte
ein als die `Hölle von Metgethen´, wobei es ebenso Orte wie Nemmersdorf und andere traf.
Soweit die Lage in der sogenannten `kalten Heimat´, dem deutsch-russischen Grenzgebiet im Winter
1945, wenige Monate vor der Kapitulation. Als dann die russische Lawine ins rollen kam und für eine
geordnete Flucht bereits alles zu spät war, kam es auf Stunden an. Nachdem sich mittlerweile rausge-
stellt hatte, dass diejenigen, die eine geordnete Flucht untersagt hatten, sich selber aber bereits aufs
Feinste vorbereitet, verflüchtigt hatten, gab es dann kein Halten mehr. Den russischen Schrecken im
Nacken, verstaute jeder, was immer er für wichtig erachtete, auf verfügbare Gefährte, ob nun das
Pferde- oder Ochsengespann, den Bollerwagen, den Schlitten oder den Rucksack und machte sich auf
den Weg gen Westen. Während die Einen sich bereits eingekreist
sahen und vielleicht nach Tagen wieder den Rückweg antreten muss-
ten, in der Hoffnung, das Zurückgelassene unversehrt wiederzufin-
den, bildeten sich aus den westwärts strebenden Zügen Kolonnen,
die alles verstopften. So blieb es nicht aus, dass, wer Pech hatte,
sein Gefährt mit seinem Hab und Gut im Straßengraben wiederfand,
während die Weiterziehenden auch schon mal von den eigenen Pan-
zern von der Straße `geräumt´ wurden auf dem Weg zu ihrem Ein-
satz an der Front. Über alledem war auch niemand sicher vor will-
kührlich angreifenden Tieffliegern, welche mal eben einen ganzen
Zug der Flüchtigen vernichten konnten. Das Ergebnis konnte dann
sein, wenn man mit dem Leben davongekommen war, dass statt dem
Pferdewagen die eigenen Schultern das Transportmittel waren. Auf
nachbarliche Hilfe in diesen Trecks brauchte man nicht wirklich
hoffen, auch wenn sie durchaus vor kam, - jeder hatte mit sich sel-
ber genug zu tun in diesem schneidend kalten Winter, der zusätzlich
noch ungezählte Leben zu sich nahm.
So kämpften sich diese Schaustücke menschlichen Elends, soweit es Hunger, Kälte, die Geschwindig-
keit des russischen Vormarsches und diverse andere Widrigkeiten zuließen, Tag um Tag, Kilometer um
Kilometer weiter in Richtung Westen, in der Hoffnung den russischen `Tieren´ entkommen zu sein.
Seltenst mal ein Hof, wo man im Stall eine warme Nacht verbringen konnte, wo man für echte Werte,
von denen man letztlich auch nur lebte, eine Hand voll Kartoffeln, ein Brot oder ein Stück Speck be-
kam. Nein, diese Trecks waren bei kaum einem Landwirt beliebt, wenn erstmal die Federbetten, Teppi-
che und andere Wertsachen vergeben waren, getreu dem Motto: `Für nix gibt´s nix´. Wenn man es
dann über die Elbe geschafft hatte, waren die Wagen weitgehend leer `verkauft´, während Einzelne
aus den Trecks sich verabschiedeten um Verwandte oder Bekannte im Westen anzusteuern, in der
Hoffnung dort Aufnahme zu finden. Die Verbliebenen, soweit sie nicht bei irgendwelchen gnädigen Ge-
höften oder Betrieben Anstellung, Bett und Brot fanden, marschierten weiter in irgendein Gebiet
Westdeutschlands - egal wo, Hauptsache go West. Folgerichtig endete der Weg eines späten Trecks
dann auch im Land Hadeln bei Altenbruch, wovon die dort ansässige Bevölkerung zum guten Teil ebenso
wenig erfreut war wie in den durchwanderten Teilen Deutschlands. Letztlich mussten dann die Behör-
den tätig werden und den Menschen per Zwangseinweisung Unterkünfte zuteilen, was natürlich die
Gastgeber zwang, sich einzuschränken - und wieder kein Frieden.
Mit diesem Treck hatte es Eva-Maria Hinz mit ihren zwei Kindern geschafft zu entkommen. Zunächst
fand sie Unterkunft in der Kohlenhandlung Lüning, später in der Nicolai-Apotheke. Arbeit fand sie ver-
mutlich in der Papierhandlung Mewicke in der Langen Straße 10, deren Leitung sie später übernahm.
1947 dann wurde Erich-Karl Hinz (*1900, †1984) aus der Internierung in Dänemark entlassen und
machte sich auf nach Altenbruch. Unterkunft fand er ebenfalls in der Langen Straße. Es ist nicht ganz
klar, ob gemeinsam mit seiner Famile. Dort, keine Anstellung findend, betätigte er sich seiner künstle-
rischen Muse, schrieb Gedichte, malte Bilder. Als einer, der den Krieg und dessen Familie die Flucht
erlebt hatte, wurden die Flüchtlinge und ihre Schicksale zu seinem Anliegen. Letztlich teilte er als ge-
bürtiger Pommer ihr Schicksal des Verlustes von Heim und Heimat und allem was einem dort einmal und
auf absehbare Zeit, wenn nicht für immer, lieb und wert gewesen war. Und er wusste um die Greuel,
die Not und Entbehrungen der Flüchtenden.
So wuchs in ihm der Gedanke eines großen Kreuzes. Es sollte sowohl ein unübersehbares Gedenken an
die tausende, wenn nicht abertausende Toten darstellen, welche die Flucht nicht überlebt hatten, als
auch ein immerwährendes Mahnmal vor dem Grauen eines Krieges. Dazu sollte es aus Holz sein und die
Bezeichnung `Treckkreuz´ tragen. Als Standort hatte er den Friedhof vorgesehen, was jedoch vom
provisorischen Kirchenkollegium abgelehnt wurde. So entstand
als Ersatz der Gedanke, das geplant 16 Meter hohe Kreuz auf
einer kleinen Landzunge der damaligen Wehle hinter dem Deich,
östlich des heutigen Campingplatzes, aufzustellen. Sicherlich ein
sehr guter Ort, ist es doch nicht nur der Landbevölkerung, son-
dern mit seiner beträchtlichen Höhe ebenso den vorbeifahren-
den Schiffen ersichtlich. Dazu lag die Landzunge nur wenige
Meter hinter der Cuxhavener Grenze auf Altenbrucher Gebiet.
Für dieses Vorhaben konnte er den Hadeler Landrat von der
Wense gewinnen. Dieser vermittelte hierfür von dem Hechthausener Freiherrn Marschalk von Bach-
tenbrook Grund und Boden, welcher wiederum der Familie Böje vermietet war. Ebenso stellte v.d. Wen-
se das Baumaterial für das 16 Meter hohe Kreuz, eine Douglasie, zur Verfügung.
So konnte das Kreuz am 1. August 1950 von Mitgliedern der
einzelnen Landsmannschaften aufge-
stellt und pünktlich zum `Tag der Hei-
mat´ am 6. August in einer Feierstun-
de geweiht und somit seiner Aufgabe
übergeben werden. Hierzu hatte Hinz
ein umfangreiches, aufwendiges Pro-
gramm erstellt, welches zunächst un-
ter großer Beteiligung am Kreuz be-
gann. Unter den ca. 2.000 Anwesenden waren zahlreiche Vertreter verschie-
dener Landsmannschaften, sowie Amts- und Würdenträger. Ebenso war der
Norddeutsche Rundfunk zugegen, der einen Bericht für die Sendung `Aktu-
elles Zeitgeschehen´ erstellte.
Nach dem formellen Teil setzten sich die Feierlichkeiten im Ort im `Deutschen Haus´ fort.
Während Hinz im Jahre 1951 nach Hamburg übersiedelte, wurde das Kreuz noch in dem Jahr mit einem
Zaun gegen Weidevieh umbaut, es bekam einen Anstrich, ein paar Pappeln wurden aufgestellt und ein
Kies-Zuweg geschaffen. Das ist das Letzte, was zu dem Kreuz öffentlich bekannt ist. Bei einem Besuch
1957 fand E.-K. Hinz nichts alldessen mehr vor. Es gehört bis dato zu den ungelösten Geheimnissen der
Geschichte, warum und wo dieses Kreuz verblieben ist. Eine Vermutung, es sei einem Sturm zum Opfer
gefallen, ist als nicht tragend anzunehmen, da das Kreuz für diese besondere Belastung konstruiert
und seitlich abgespannt worden war. So darf dann mit einigermaßen Sicherheit angenommen werden,
dass es sein Leben als Brennholz ausgehaucht hat und mit der Zeit dem Vergessen anheim fallen muss-
te.
Jahrzehnte später führten zwei Schülerinnen des Amandus Abend-
roth-Gymnasiums für eine Wettbewerbsarbeit rege Recherchen über
dieses untergegangene Kreuz in Altenbruch durch. Leider sind weder
die Frauen, noch die Arbeit ermittelbar. Mit ihrer Arbeit brachten sie
jedoch das Kreuz wieder ins Bewusstsein. So konnte es nicht ausblei-
ben, dass der damalige Altenbrucher Ortsheimatpfleger Heiko Lüke
auf diese Geschichte ansprang. er entwickelte die Idee ein neues Kreuz
in Altenbruch aufzustellen, wenn auch wesentlich kleiner. Seine Vorstellungen lagen bei ca. 4 Metern;
1/4 der Höhe des ersten Treckkreuzes, welches dieses mal doch auf dem Friedhof aufgestellt werden
sollte. Er organisierte in der Altenbrucher Stadtsparkasse eine Ausstellung über Erich-Karl Hinz, dem
Initiator des ersten Treckkreuzes, was ihm half, den Gedanken eines neuen Kreuzes in der Bürger-
schaft und den Verbänden und Vereinen publik zu machen. So fand er dieses mal Unterstützung und
Hilfe nicht nur von den Flüchtlingsvereinen, sondern vermittels Helmut Sulz ebenso vom Kirchenvor-
stand, dem Ortsrat so wie durch Jürgen Hass dem Kleingartenverein, der sich am 27. August 1997 die
sichere Aufstellung des Kreuzes an der Nordgrenze des Friedhofes zu eigen machte. Vor das Kreuz
wurde eine Stele plaziert mit der Inschrift: `Sie verloren die Heimat und
gaben ihr Leben. / Mahnen will die Welt. / Erich-Karl Hinz.´ Eine Steinkante
konnte aus Mitteln der aufgelösten Landsmannschaft erstellt werden. Und
schlussendlich sorgten die Damen des Handarbeitskreises mit einem Basar
für die Finanzierung eines den geschichtlichen Hintergrund erklärenden
Schildes. So konnte am 27. September 1997 im Beisein der Witwe Hinz die
Einweihung dieses neuen Treckkreuzes stattfinden, zu der die Schriftstel-
lerin Sonja Wolf in einer Ansprache an Erich-Karl Hinz erinnerte. Die Weihe
fand im Rahmen eines ökomenischen Gottesdienstes statt, welcher abgehal-
ten wurde durch Pastor Michael Hartlieb und Pfarrer Josef Wellner unter
Beteiligung des Altenbrucher Frauen- und Männerchores.
Die Wenigsten dieser Flüchtlinge und Vertriebenen haben ihre Heimat am Ende je wiedergesehen. Die
Menschen hatten sich, als sich Ende der 1980er Jahre die Grenzen zu den ehemaligen deutschen Ost-
gebieten lockerten und sowohl Reisen, als auch Übersiedlungen wieder möglich wurden, hier im verblie-
benen Deutschland voll integriert, hatten sich hier eine neue Heimat aufgebaut und von daher kein
Interesse mehr dort nochmal neu anzufangen.. Alldas entgegen den anfänglich starken Bekundungen,
zurück zu kehren, wie es zum Beispiel das Schlesierlied in seinem Reim ausdrückt: "Wir sehn uns wie-
der, mein Schlesierland, wir sehn uns wieder am Oderstrand."
Auf dem Friedhof der Kirchwarft auf Hallig Hooge in Nordfries-
land steht ein kleines Kreuz, welches mit einem Text versehen
ist, der geradezu auf diese Menschen mit verlorener Heimat an-
zusprechen scheint.
Tatsächlich geht seine Bedeutung jedoch weit darüber hinaus,
sie bietet jedem Menschen - auch in den Stürmen des Lebens -
ein Zuhause an.
“Es ist das Kreuz von Golgatha
Heimat für Heimatlose”.
Fremd
Fremd stehe ich vor der neuen Klasse,
Strandgut des Krieges im Osten.
Der Flüchtlingsstrom hat mich rübergespült,
heimatlos ausgesetzt.
Sie starren mich an - die Neue.
Abtastendes Grinsen, Tuscheln:
"Wir haben jeder unseren Platz hier,
seit Jahren, seit Geburt.
Wir kennen uns gut!"
Geschlossene Phalanx.
Mich fröstelt.
Fremd
Einsam.
Abspann
Dank an:
- Cuxhavener Zeitung
- Heiko Lüke, Heimatpfleger i.R., Altenbruch
- Karl-Wilhelm Thiedemann: Heimische Sagen, Ortskunde und Altenbrucher Geschichten
- Stadtarchiv