FAIRPLAY I - Schiffsdrama vor Cuxhaven
Der Schleppdampfer FAIRPLAY I kennzeichnet eines der tragischen Schiffsunglücke der jüngeren Geschich-
te vor Cuxhaven.
"Am 6. September 1954 hielten die Menschen an der Küste den Atem an. "Das Drama der FAIRPLAY: Fun-
ker gibt Klopfzeichen. Kapitänssohn vermisst" ratterte es aus den Fernschreibern der Redaktionen. Tatsäch-
lich war das, was sich an jenem Tag auf der Elbe vor Cuxhaven abspielte, an Dramatik nicht zu überbieten.
Es gehört sicherlich zu den bewegendsten Ereignissen in der Geschichte der FAIRPLAY-Reederei. Was war
passiert? Tausende von Schaulustigen bevölkerten das Steubenhöft in Cuxhaven, um das Anlegemanöver
des 22.000 Bruttoregistertonnen großen Ozeanliners `Italia´ zu beobachten, der von einer Reise nach New
York zurückerwartet wurde. Eigentlich gestattete das Steubenhöft auch großen Schiffen das Anlegen ohne
Schlepperassistenz, doch Kapitän Pabst, der die Italia nur vertretungsweise führte und dem das Anlegen in
Cuxhaven nicht so geläufig war, forderte lieber einen Schlepper an. Als der Passagierdampfer gegen 14.30
Uhr einlaufend die Kugelbake passierte, dampfte ihm `FAIRPLAY I´, die in Cuxhaven stationiert war, entge-
gen. An Bord des Schleppers befanden sich neben der Besatzung noch zwei Ehefrauen von Besatzungsmit-
gliedern sowie der fünfjährige Sohn des Kapitäns und ein elfjähriges Mädchen als Gäste an Bord. Es war ein
schöner Tag, und die Fahrt sollte nur wenige hundert Meter in die Elbe hinausführen. In weniger als einer
halben Stunde würde man zurück sein. Doch es sollte ganz anders kommen.
FAIRPLAY I kam nach einem Wendemanöver an der Steuerbordseite der Italia von achtern auf und manöv-
rierte ganz dicht an das große Schiff heran, um die Trosse zu übernehmen. Dies ist bei konventionell ange-
triebenen Schleppern bei jedem `Job´ der kritischste Moment. Der Schlepper muss dicht an das Seeschiff
herangehen und dabei eine gewisse Geschwindigkeit beibehalten, um steuerungsfähig zu bleiben und dem
geschleppten Schiff gegenüber eine Geschwindigkeitsreserve zu behalten. Dabei trifft die Bugwelle des
Schleppers auf die des geschleppten Schiffes, prallt gegen dessen Bug und kommt mit Wucht zurück.
Schiebt sich der Schlepper über den Bug des Schiffes hinaus, entsteht an seinem Heck eine einseitige
Hebelwirkung, während sich sein Bug bereits in ruhigerem Wasser befindet. Dadurch wird das Schlepper-
heck vom Bug des Seeschiffes weg gedrängt, so dass der Schlepper in Gefahr gerät, vor den Bug des
langsam mitlaufenden Schiffes zu drehen. Zumeist genügt eine leichte Korrektur, um den Schlepper wieder
auf Kurs zu bringen, doch es bleibt ein schwieriges Manöver, weil auch Strom und Wind eine Rolle spielen.
Kapitän Reese sollte es nicht gelingen.
Beide Fahrzeuge fuhren Steven an Steven nebeneinander her.
FAIRPLAY I hatte gerade eine lose Leinenverbindung hergestellt, als
der Schlepper in den Sog des Bugschwells der Italia geriet. Ruhig
ließ Kapitän Reese das Ruder nach Steuerbord legen und Fahrt auf-
nehmen. Doch sein Schlepper kam nicht von dem mächtigen
Schiffsrumpf frei. Die Hebelwirkung der Bugwelle, die noch durch
den von achtern kommenden Flutstrom verstärkt wurde, war zu
stark. Der Bug des Schleppers wurde immer mehr von dem Passa-
gierdampfer weggedrückt, während sein Heck dessen Steuerbord-
steven immer näher kam und schließlich dagegen schlug. Reese
ging jetzt auf höchste Fahrtstufe. Und tatsächlich kam der Bug des
Schleppers durch die Vorwärtsbewegung aus dem Bugschwell
heraus, dafür geriet sein Heck hinein. Der Schlepper wurde nach Backbord herumgerissen, krängte nach
Steuerbord, richtete sich wieder auf, geriet direkt vor die Italia und war in Gefahr, überlaufen zu werden. Dort
wurden die Maschinen sofort auf `Voll zurück´ gestellt, so dass die Fahrt des Dampfers herunterging und
eine Kollision gerade noch vermieden werden konnte. Die Wasserwulst, die das Passagierschiff vor sich
herschob, konnte dem Schlepper jetzt zum Retter oder zum Verhängnis werden. Tatsächlich schien alles gut
zu gehen. Die Bugwelle schob den Schlepper, der wieder erhebliche Schlagseite nach Steuerbord bekom-
men hatte, nach Backbord weg, so dass der Steven der Italia haarscharf an ihm vorüber glitt. FAIRPLAY I
schrammte an der Backbordwand des Dampfers entlang und kam schließlich von ihm frei. Den Passagieren
und Besatzungsmitgliedern an Bord des Passagierschiffes stockte der Atem. Sie warteten darauf, dass sich
der Schlepper, der offensichtlich unbeschädigt war, wieder aufrichtete. Doch er blieb minutenlang auf der
Steuerbordseite liegen. Durch einen geöffneten Niedergang und die Oberlichter des Maschinenraums und
des Logis drang Wasser in das Innere, das ein Aufrichten unmöglich machte. Der Schlepper rollte dann
weiter über, kenterte und trieb, kieloben liegend, im Heckwasser der Italia davon. Schließlich sackte FAIR-
PLAY I mit dem Achterschiff ab, während der Bug, durch eingeschlossene Luft gehalten, noch an der Was-
seroberfläche blieb.
Es waren nur Sekunden, in denen sich das Unglück ereignet hatte. Sein Nachspiel dagegen dauerte Stun-
den des Entsetzens. Alle, die sich an Deck des Schleppers befunden hatten, sprangen ins Wasser oder
retteten sich auf das Wrack. Von der Italia wurden sofort Rettungsringe ins Wasser geworfen. Wenige Minu-
ten nach dem Untergang waren die Schlepper und Taucherfahrzeuge `Danzig´, `Otto Wulff II´ und `Otto Wulff
III´, `Jason´ und `Vorwärts´ sowie der Zollkreuzer `Kedingen´ und das Fahrgastschiff `Jan Molsen´ zur Stelle,
um die Schiffbrüchigen aufzunehmen. Zwei Mann fehlten. Der kleine Sohn des Kapitäns, der sich in einer
Koje zum Schlafen gelegt hatte, und der Funker Ernst Reich, der Freiwache hatte, mussten noch im Schiff
sein. Kapitän Reese, der drei Wochen zuvor bereits seinen anderen Sohn durch eine Lungenentzündung
verloren hatte, weigerte sich zunächst, das Wrack seines Schiffes zu verlassen, solange die Vermissten
nicht geborgen waren. Zum Glück blieb das Wrack vorläufig so liegen. Heck und achterer Mast hatten sich in
den Grund gebohrt und stützten es ab, während eine Luftblase den Bug oben hielt. Die Fahrzeuge kehrten
mit den Geretteten nach Cuxhaven zurück, wohin auch die Italia lief. Den Menschen an Bord stand das
Entsetzen im Gesicht. Nur der Schlepper Danzig und Otto Wulff II blieben draußen.
Während Danzig versuchte, das Wrack aus der Fahrrinne zu ziehen, vernahmen die Männer plötzlich Klopf-
zeichen aus dem gekenterten Schiffskörper. Die Bergungsarbeiten wurden sofort unterbrochen, um ein
Auseinanderbrechen des Schleppers zu verhindern, und ein Boot mit Ärzten zur Unfallstelle geschickt. Der
Funker der Danzig stieg auf das Wrack über und antwortete. Der Eingeschlossene war unverletzt. Er war bei
dem Unglück in hohem Bogen aus der Koje geflogen und hatte sich tastend in den Raum mit der Luftblase
gerettet. Hier wartete er nun bei völliger Dunkelheit auf Rettung. Versuche, den aus dem Wasser ragenden
Bug aufzuschneiden, wurden schnell wieder aufgegeben. Die Gefahr war zu groß, dass die Luft durch das
Loch entweichen und das Wrack wegsacken würde, bevor der Mann geborgen werden konnte. Gleich zu
Beginn der Bergung hatte man das Hebeschiff `Ausdauer´ der Bugsier-Reederei nach Cuxhaven gerufen. Es
sollte den gekenterten Schlepper emporheben, würde aber zehn Stunden für die Strecke von Hamburg bis
zur Elbmündung benötigen - zu lange, um dem Eingeschlossenen noch helfen zu können. Ein Tauchretter
musste her, wie er auf U-Booten benutzt wird. Von der Danzig aus wurden deutsche, britische und sogar
amerikanische Marinestellen angerufen, aber keiner konnte schnell genug einen besorgen.
Gegen 18.00 Uhr versuchte ein Taucher von Otto Wulff II bei Stauwasser unter Lebensgefahr, in den Schlep-
per hineinzukommen. Bei diesem Bergungsversuch in etwa 20 Meter Tiefe geriet das Wrack ins Trudeln, und
es gelang im letzten Augenblick, den Taucher wieder an die Oberfläche zu holen. Die beiderseits des Wracks
liegenden Bergungsfahrzeuge schoren Leinen unter ihm durch, um es zu halten, wenn es durch den Eb-
bstrom herumgerissen werden sollte. Die Helfer waren verzweifelt. Mit Morsezeichen sprachen sie dem
eingeschlossenen Funker Mut zu und wussten doch nicht, was sie für ihn tun sollten. Spätestens wenn die
Ebbe einsetzte, würde das Wrack in Bewegung geraten und vollständig versinken. Um 21.00 Uhr begann
der letzte Akt des Dramas. Mit ablaufendem Wasser bewegte sich der Schlepper. Als die Bewegung zu stark
wurde, mussten die Halteleinen gekappt werden, um die Bergungsschiffe nicht zu gefährden. Mit einer gros-
sen Fontäne entwich die Luft aus dem Schiff, das endgültig versank. Der eingeschlossene Funker hatte bis
fast zuletzt Morsezeichen gegeben.
Noch in der Nacht ging das Hebeschiff `Ausdauer´ daran,
das Wrack zu bergen, doch die starke Strömung bereitete
den Tauchern große Schwierigkeiten. Sie konnten nur bei
Stauwasser für kurze Zeit arbeiten, so dass es volle vier
Tage dauerte, bis das Wrack gehoben war. Wieder säum-
ten Tausende den Elbdeich und den Steubenhöft. Doch
diesmal keine freudige Erwartung, kein Lachen. Stumm
beobachteten sie, wie das Wrack der FAIRPLAY I langsam
wieder an die Oberfläche kam und im flachen Wasser des
Amerikahafens von Cuxhaven auf Grund gelegt wurde.
Hier fand man auch den Funker. Er saß mit friedlichem
Gesicht in einer Ecke der Logis. Durch den Sauerstoff-
mangel war er kurz vor dem Versinken des Wracks müde geworden und für immer eingeschlafen. Den toten
Werner Reese fand man in der Koje des Ruderhauses, wo ihn der Vater zum Schlafen niedergelegt hatte.
Dort hatte ihn ein schneller Tod überrascht. Der Schlepper selbst war bei dem Unglück kaum beschädigt
worden und konnte wieder instandgesetzt werden. An der Küste herrschte Trauer. Einen Schuldigen für
diese Tragödie gab es nicht. Das Seeamt konnte niemandem ein Fehlverhalten vorwerfen. Wieder einmal
war es die Bugwelle eines geschleppten Schiffes gewesen, die - in diesem Fall durch den Flutstrom verstärkt
- einen Schlepper ins Verderben gerissen hatte."
Mit einem Klick auf den speziell für Cuxhaven gegossenen Sieldeckel kann ein Kurz-
film über die Bergung des Schleppers Fairplay 1 aufgerufen werden. Nach Ende des
Filmes bitte den Filmbetrachter schließen.
Nachtrag
Der Text wurde hier wörtlich aus der Quelle (s.u.) übernommen, da jede Änderung einen Verlust darstellen
würde.
Abspann
Dank an
•
Wörtlicher Text und Bilder mit freundlicher Genehmigung der FAIRPLAY-Reederei aus:
`Fairplay Schleppdampfschiffs-Reederei Richard Borchard - Seeschiffsassistenz und Schleppschifffahrt
im Wandel der Zeit´
Verlegt im Elbe-Spree Verlag Hamburg
•
British Pathé Ltd, London
Erstveröffentlicht: cuxpedia.de